Panikmache und Profilierung
Unter der Überschrift "Lösungen statt Panikmache" berichtete die Fellbacher Zeitung am 22.10.2015 von einem offenen Brief des FW/FD-Fraktionsvorsitzenden Ulrich Lenk, dessen Mahnungen wohl vor allem "an den parteilosen Stadtrat Andreas Zimmer gerichtet sind", bei dem Lenk den Verdacht habe, "dass es ihm weniger um die Sache, sondern vielmehr darum geht, aus der Lage politisches Kapital zu schlagen und sich zu profilieren".
In derselben Ausgabe wird auch über die Mitgliederversammlung des Fellbacher CDU-Stadtverbandes berichtet, in der der ehrenamtliche Geschäftsführer Fabian Zahlecker, der in der Versammlung auch als Vorstandsmitglied des CDU-Stadtverbandes gewählt wurde, auf die Flüchtlingskrise einging: Lt. Fellbacher Zeitung forderte Zahlecker seine Partei angesichts der nahenden Landtagswahl zur Geschlossenheit und zur Solidarität mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf. Deutschland werde sich durch die Flüchtlinge verändern: "Wir werden bunter, wir werden vielfältiger."
Hat sich Zahlecker und seine CDU eigentlich schon einmal gefragt, wie die Mehrheit der Bürger zur der von ihm als so selbstverständlich proklamierten Veränderung Deutschlands durch die Flüchtlinge steht und ob wir zumindest mehrheitlich diese Art der Buntheit und Vielfalt gutheißen?
Die Vorwürfe der FW/FD-Fraktion an meine Person und die Berichterstattung über die CDU-Mitgliederversammlung haben mich zu folgendem Brief an die Stadträtinnen und Stadträte dieser Fraktionen animiert:
Brief an CDU- und FW/FD-Fraktionen
Den nachfolgenden Brief finden Sie hier auch als PDF-Dokument.
An die Stadträtinnen und Stadträte
der CDU-Fraktion und der FW/FD-Fraktion
im Gemeinderat der Stadt Fellbach
In Kopie an Herrn Oberbürgermeister Palm, die Fellbacher Zeitung und öffentlich auf meiner Website unter www.Andreas-Zimmer.net/asyl
Fellbach, 22.10.2015
Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte
der CDU-Fraktion und der FW/FD-Fraktion,
der in der heutigen Fellbacher Zeitung erschienene Artikel „Lösungen statt Panikmache“ und der Bericht von der Mitgliederversammlung des CDU-Stadtverbandes, in der der ehrenamtliche CDU-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Fabian Zahlecker zur „Solidarität mit Bundeskanzlerin Angela Merkel“ aufrief und die Flüchtlingskrise wörtlich auf den Nenner bringt, dass wir „bunter und vielfältiger werden“, veranlassen mich, Ihnen den beigefügten Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zur Kenntnis zu geben. Ich habe mir erlaubt, einige besonders interessante Stellen gelb zu markieren.
Wenn die unseren Mitbürgern vermittelten „Lösungen“ ausschließlich darin liegen, die Unterbringung und Versorgung eines außer Kontrolle geratenen Flüchtlings-Zustroms nach Deutschland möglichst geräuschlos zu organisieren, kommt hierin ein grundlegend anderes Politikverständnis zum Ausdruck, als es mir gegeben ist und mich letztlich im fortgeschrittenen Alter überhaupt erst politisch aktiv werden ließ.
Liebend gerne hätte ich die Politik auch weiterhin einfach als Bürger und Wähler begleitet und Sie werden den Augenblick (freudig :-) erleben, an dem ich mich auch wieder in diese Position begeben werde. Ich brauche weder politisch Kapital zu schlagen (für wen oder was?), noch habe ich es nötig mich politisch zu profilieren. Läge dies in meinem Naturell, hätte ich mich sicherlich schon viel früher in die Politik begeben. Nein, es war und ist das von mir so empfundene schwere Versagen politischer Alternativlosigkeit der etablierten Parteien in essentiellen Fragen der Zukunftsgestaltung unseres Landes, das mich 2013 zum Einstieg in die aktive Politik getrieben hat. Wie gerne hätte ich darauf verzichtet und würde lieber heute als morgen wieder darauf verzichten! Zwar kann ich nichts ausrichten, aber einfach nur ruhig zuzuschauen halte ich auch nicht mehr aus.
Und jetzt die Flüchtlingskrise. Bald schlimmer noch als die ebenfalls noch lange nicht bewältigte Euro- und Staatsschuldenkrise. Schon wieder nur Alternativlosigkeit. Am Dienstag dieser Woche kam die Kommentatorin der Stuttgarter Zeitung Sibylle Krause-Burger unter der Überschrift „Angela Merkel allein zu Haus“ zu folgendem denkwürdigen Schluss:
„Es kann doch nicht wahr sein, dass die angeblich so mächtige Bundeskanzlerin öffentlich behauptet der Zugang zu dem von ihr regierten Land sei nicht zu sichern. Steht sie denn an der Spitze eines Nachtwächterstaates? Von so hilflosem Personal will niemand regiert werden. Wenn weiterhin jeden Tag Zehntausende Schutz suchend zu uns kommen – und fast nur zu uns –, dann brennt hier die Luft trotz der kalten Jahreszeit.“
Da bleibt mir ob des Aufrufs der FW/FD-Fraktion zum solidarischen Zusammenstehen, einzig auf die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge gerichtet (!), und des im ganzen Vorstand und Stadtverband der Fellbacher CDU offensichtlich alternativlosen Aufrufs ihres Geschäftsführers zur Solidarität mit Angela Merkel, nur noch eine gewisse Fassungslosigkeit über die bürgerlichen Parteien in unserer Stadt. Von SPD, Grünen und Linken hätte mich eine solche Haltung wohl wesentlich weniger überrascht. Aber zwischenzeitlich beweisen ja sogar schon grüne Oberbürgermeister mehr Realitätssinn und in Nordrhein-Westfalen haben es gar 215 (!) Bürgermeister und Oberbürgermeister gewagt, einen in der Presse sogenannten „Brandbrief“ an unsere Bundeskanzlerin zu schreiben, in dem sie u.a. feststellen: „Eine europaweite Lösung ohne steuer- und planbare Quoten und ohne Obergrenzen wird es nicht geben“. Auch alles so Panikmacher und Profilierungssüchtige, die nur politisches Kapital schlagen möchten!
In meinem offenen Brief an Oberbürgermeister Palm, der mir nun von der FW/FD-Fraktion als „Panikmache“ vorgeworfen wird, hatte ich ein vergleichbares politisches Signal des Fellbacher Gemeinderates angeregt, nur zur Erinnerung der nachfolgende Auszug:
„Die wesentliche – zumindest mir – von vielen Mitbürgern quer durch die politischen Überzeugungen vorgetragene Forderung an die politisch Verantwortlichen lautet, für eine Begrenzung des Zustroms von Flüchtlingen nach Deutschland zu sorgen. Ich teile diese Forderung mit großem Nachdruck und widerspreche all denen, die dies für faktisch unmöglich erklären und damit ihr Nichthandeln entschuldigen. In diesem Sinne sollte m.E. der Gemeinderat ausnahmsweise auch einmal zum „großen Bild“ der Flüchtlingskrise Stellung beziehen und damit ein politisches Signal an unsere Mitbürger, insbesondere aber auch an die verantwortlichen Politiker senden, wie er zur unbegrenzten Aufnahme von Flüchtlingen steht, mit deren Konsequenzen wir alle uns ja nun faktisch tagtäglich auseinandersetzen müssen.“
Neben seiner grundlegenden Ablehnung einer gesonderten Gemeinderats-Befassung, lehnte Herr Oberbürgermeister Palm auch dieses Ansinnen in seiner Antwort ausdrücklich ab: „Ein Hilferuf aus Fellbach an die große Politik, wie Sie ihn in Ihrem Brief fordern, ist in der aktuellen Situation bei uns nicht geboten.“
Es gibt sie aber doch, die Bürgermeister und Oberbürgermeister der 215 nordrheinwestfälischen Gemeinden und Städte, die auch politische Signale für geboten halten.
Also beschränken wir uns weiterhin auf das Verwalten der Krise und die möglichst geräuschlose Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge. Politische Signale sind nicht geboten. Meinungsbildung ist nicht gewünscht und wird ganz offensichtlich auch nicht als politische Aufgabe gesehen – zumindest nicht da, wo für unsere Mitbürger Politik noch greifbar ist, in ihrem persönlichen Lebensumfeld in unserer Stadt. Alles alternativlos. Da ist es kein Wunder, dass die im beigefügten FAZ-Artikel zitierte Allensbach-Umfrage u.a. zu folgendem Ergebnis kommt: „Die von den Bürgern für dringlich gehaltene Diskussion, wie viele Flüchtlinge das Land verkraften kann und welche politischen Konsequenzen zu ziehen sind, wurde nicht geführt - zumindest nicht, dass sie öffentlich wahrgenommen wurde.“
Die Konsequenzen werden wir alle zu tragen haben.
Mit betrübten Grüßen
Andreas Zimmer
Anlage: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.10.2015
Deutsche trauen Politik keine Lösung der Flüchtlingskrise zu